Unser 5. Fachtag im Rahmen des Projektes „Worte helfen Frauen“ findet in diesem Jahr am 08.06.2023 von 10 – 16 Uhr im FORUM St. Joseph | Isernhagener Str. 63 | 30163 Hannover als Präsenzveranstaltung statt.
Das niedersächsische Projekt „Worte helfen Frauen“ unterstützt seit 2016 Beratungsstellen durch die Möglichkeit zur Abrechnung von Übersetzungsleistungen bei Gesprächen mit Frauen ohne ausreichende Deutschkenntnisse. Regelmäßig angebotene Fachtagungen geben Gelegenheit, die Arbeit im Projekt, in den Beratungsstellen und in der Sprachmittlung zu reflektieren.
In dem diesjährigen Fachtag befassen wir uns mit Einflussfaktoren auf die Beratungssituation. Zunächst schauen wir auf die aktuelle Situation im „Einwanderungsland Deutschland“. Ein Fokus wird auf die Lebenssituation geflüchteter Frauen in Gemeinschaftsunterkünften gelegt und ein weiterer auf durch die Flucht entstehende Traumata. Im Weiteren wechseln wir die Blickrichtung hin zu den Beraterinnen. Neben einem Einblick in die Herausforderungen des Beratungsalltags steht die Frage im Mittelpunkt, welche Folgen zeitlicher und psychischer Druck auf die Beraterinnen und damit auf das Beratungsgespräch haben können.
Der Fachtag richtet sich an (Beratungs-) Stellen, Fachbehörden, Ärztinnen und Ärzte und Gleichstellungsbeauftragte, die Frauen in Not Beratung und Hilfe anbieten. Die Teilnahme ist kostenfrei.
Einen Flyer mit Informationen zum Programm und Anmeldemöglichkeiten können Sie hier als pdf-Datei herunterladen.
Das Projektjahr 2023 läuft, wir freuen uns, Anträge auf Übersetzungsleistungen entgegen zu nehmen. Bitte lesen Sie sich unser FAQ-Sheet sorgfältig durch. Hier finden Sie alle Bedingungen für die Nutzung des Projektes „Worte helfen Frauen“. Durch das Projekt werden ausschließlich Übersetzungskosten für Beratungen mit Frauen in Not übernommen. Wir bitten im Interesse aller Antragstellenden, die auf die Mittel angewiesen sind, die Projektbedingungen genau einzuhalten. Gleichzeitig bitten wir um einen umsichtigen Umgang mit diesem Angebot, die Nachfrage ist sehr groß. Die Mittel sollen möglichst vielen Beratungsstellen zugute kommen.
Situation und Bedarfe von Frauen ohne Papiere und von Prostituierten | Dokumentation
Sprachliche Verständigung ist im Beratungssetting von besonderer Bedeutung. Daher ist es für Beratungsstellen in der Beratung von Migrantinnen ohne oder mit wenig deutschen Sprachkenntnissen häufig notwendig, eine Person zur Sprachmittlung heranzuziehen. Eine weitere Person in der Beratungssituation bringt neben der sprachlichen Unterstützung allerdings auch besondere Herausforderungen mit sich.
Diese Herausforderungen und Besonderheiten galt es in einer Tagung herauszuarbeiten und diskutieren. Am 27.09.2022 haben wir im Rahmen des Projektes „Worte helfen Frauen“ zur online-Tagung „Beratung mit Übersetzung – Situation und Bedarfe von Frauen ohne Papiere und von Prostituierten“ eingeladen.
Dabei stellten wir zwei Zielgruppen in den Mittelpunkt, deren Lebenssituation und Bedarfe zu kennen auch für Beratungsstellen von besonderer Bedeutung ist: Frauen ohne Papiere und Prostituierte.
Nach einem Grußwort der Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Daniela Behrens informierte Almut von Woedtke, Vorstandsvorsitzende des Projektträgers Gleichberechtigung und Vernetzung e.V. und Projektleitung „Worte helfen Frauen“ über Aktuelles zum Projekt „Worte helfen Frauen“. Wie viele Übersetzungsleistungen wurden im Rahmen des Projektes übernommen? In welche Sprachen wird am meisten übersetzt? Wo gibt es noch Bedarfe? Auf Grundlage dieser Fragen wurde der aktuelle Stand der Dinge in den Blick genommen und auf eine fast siebenjährige Erfolgsgeschichte zurückgeschaut.
Daniela Behrens, Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
Für den fachlichen Input waren vier Expertinnen und Experten dabei:
Den Anfang machten Saskia Apelt-Schunk und Bernadeta Kuclo von der Fachberatungsstelle Phoenix e.V. aus Hannover (www.phoenix-beratung.de). Sie informierten über Rahmenbedingungen der Sexarbeit in Deutschland und ermöglichten den Teilnehmenden einen Einblick in ihre alltägliche Arbeit. Neben allgemeinen Informationen zur Beratungsstelle, dem breiten Spektrum der Tätigkeitbereiche und Angebote, gingen die Referentinnen auch auf die rechtlichen Grundlagen der Sexarbeit in Deutschland ein. Besonders deutlich wurden dabei die Herausforderungen und Besonderheiten der aufsuchenden Arbeit. Eine direkte Ansprache und vertrauensbildende Maßnahmen an den Orten, an denen Sexarbeit stattfindet, steigere den Bekanntheitsgrad der Beratungsstelle (und dessen Unterstützungsmöglichkeiten) und baue gleichzeitig Berührungsängste/ Hemmschwellen ab. Ferner sind die Referentinnen auf die schwierige Situation der Sexarbeitenden und der Beratungsstelle im Zuge der Corona-Pandemie eingegangen: Eingeschränkt erreichbares Hilfesystem, überraschendes und kurzfristiges Arbeitsverbot, existenzielle Sorgen, psychische Belastung, Zukunftsängste u.v.m. habe die Hilfesuchenden, aber auch die Beratenden sehr belastet. Mit einem Plädoyer, Sexarbeiterinnen respektvoll zu behandeln und Diskriminierungen und Stigmatisierung entgegen zu wirken, beendeten die Referentinnen ihren Vortrag.
Johannes Schwietering von Medinetz Hannover e.V. referierte im Anschluss über die Medizinische Versorgung von Frauen ohne Papiere. Medinetz Hannover e.V. (www.medinetz-hannover.de) vermittelt medizinische Behandlung für Menschen ohne Aufenthalts- und Krankenversicherungsstatus und fordert im öffentlichen und politischen Diskurs die Abschaffung ausgrenzender Gesetze, um Menschen ohne Papiere den Zugang zu Gesundheitsleistungen zu ermöglichen. Johannes Schwietering ging ausführlich auf die aktuelle Versorgungssituation und auf Perspektiven von Frauen ohne Papiere in Niedersachsen ein. Neben einer Definition „Wer Frauen ohne Papiere sind“, berichtete er über die aktuelle Rechtslage und verdeutlichte mithilfe von Fallbeispielen die schwierige Situation dieser heterogenen Personengruppe. Was sind die Herausforderungen für Betroffene? Was ist der Nothelferparagraph? Welche Leistungen können mit welchem Aufenthaltsstatus von welchem Versorgungsamt/Krankenkasse in Anspruch genommen werden? Was ist die Übermittlungspflicht nach §87? Auf Grundlage dieser Fragen skizzierte Herr Schwietering ein düsteres Bild der Versorgungslandschaft und veranschaulichte deutlich, dass Menschen ohne Papiere im Krankheitsfall, bei Schwangerschaften oder nach Unfällen kaum die Möglichkeit haben, medizinische Hilfe gefahrlos zu erhalten. Besonders bedeutend und hilfreich waren vor diesem Hintergrund, die Praxistipps an Betroffene und Unterstützende (Was ist VOR der Behandlung und was ist BEI der Behandlung zu beachten) und die Angabe von bestehenden Versorgungsstrukturen. Hier finden Sie die PowerPoint-Präsentation von Herrn Schwietering zum Download
Nach der Mittagspause referierte Frau Delaram Shafieioun vom Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e.V. (www.ntfn.de) über die „Beratung zu dritt“ und die „Besonderheiten, Herausforderungen und Empfehlungen“. Dabei ist sie u.a. auf die Notwendigkeit von Sprachmittlung in Beratungs- und Therapiegesprächen eingegangen und hat verdeutlicht, dass es kaum Alternativen gibt. Der Einsatz von Sprachmittlung habe einen positiven Einfluss auf die Beratung und sei äquivalent zu muttersprachlicher Beratung. Betroffene, die nicht der Beratungssprache mächtig seien, könnten ihre Gefühle am besten in der Muttersprache zum Ausdruck bringen. Im Anschluss informierte Frau Shafieioun über allgemeinen Regeln in Dolmetschersituationen, die erfolgreiche Gestaltung von Vor- und Nachgesprächen und über die Bedeutung einer klaren Rollenverteilung bei einer Beratung zu dritt: Beraterin/ Berater – Sprachmittlung – Betroffene/ Betroffener. Mehr dazu in der PowerPoint-Präsentation von Frau Shafieioun
In einer abschließenden Podiumsdiskussion ging es um die Bedarfe des Niedersächsischen Hilfesystems (freie und kommunale Beratungsstellen) im Hinblick auf die Beratung von Frauen ohne Papiere und Prostituierten. Im digitalen Podium waren neben den Referierenden dabei: Andrea Frenzel Heiduk, Leiterin des Referats (202) Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Prostituiertenschutzgesetz des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung und Maia Ceres vom Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (www.berufsverband-sexarbeit.de).
Durch die Ausführungen von Frau Ceres konnten die Bedarfe von Sexarbeitenden auch aus der Perspektive von „Betroffenen“ ermittelt werden. Frau Ceres berichtete u.a., dass vielen Sexarbeitenden das Vertrauen zu öffentlichen Behörden fehlt und sie bei einem „Outing“ ihrer Tätigkeit Ablehnung und Diskriminierung befürchten (müssen). In diesem Zusammenhang machte sie auf das Projekt „Roter Stöckelschuh“ aufmerksam, welches Barrieren in der gesundheitlichen Versorgung und Beratung für Sexarbeitende abbauen möchte. Der Rote Stöckelschuh steht für Vertrauen, Respekt und Akzeptanz und soll die berufliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Sexarbeitenden fördern. (www.roterstoeckelschuh.de)
Offen sprechen zu können und dabei einen wertschätzenden Umgang und Beratung zu erfahren seien wichtige Voraussetzungen für eine gute Behandlung – das gilt auch und besonders für diese hoch stigmatisierte Berufsgruppe. Dabei spiele eine „gemeinsame“ Sprache eine entscheidende Rolle. Die Beteiligten waren sich einig, dass bei fehlenden Deutschkenntnissen Sprachmittlung für eine adäquate Beratung notwendig ist.
Die Online-Tagung war mit über 160 Teilnehmenden ein voller Erfolg. Sie richtete sich an (Beratungs-) Stellen, Fachbehörden (z.B. Gesundheits- und Ordnungsämter), Ärztinnen und Ärzte und Gleichstellungsbeauftragte, die Frauen in Not Beratung und Hilfe anbieten – insbesondere Frauen ohne Papiere und Prostituierte.
Gemeinsam mit den fachversierten Referierenden und interessierten Teilnehmenden wurden wichtige Aspekte für eine erfolgreiche und nützliche Beratung herausgearbeitet.
Als Moderatorin führte Dunja Rose durch den Fachtag.
Ein großer Dank geht an unsere Referentinnen und Referenten dieser Tagung:
Saskia Apelt-Schunk und Bernadeta Kuclo Maia Ceres Andrea Frenzel-Heiduk Johannes Schwietering Delaram Shafieioun
und an Frau Ministerin Daniela Behrens
Bericht: Frau Rabia Kuru, Projekt Worte helfen Frauen
Die Zusammenarbeit mit Dolmetschenden gehört zum Alltag in Frauenhäusern und Fachberatungsstellen. Um professionelle und sensible Sprachmittlung in diesem komplexen Kontext zu fördern, hat Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) drei Leitfäden zum Dolmetschen mit gewaltbetroffenen Frauen erarbeitet. Leitfaden 1 richtet sich an Mitarbeitende in Frauenhäusern und Fachberatungsstellen, Leitfaden 2 soll Dolmetschenden bei der Arbeit in diesem Kontext unterstützen und Leitfaden 3 umfasst kurze, mehrsprachige Informationen für Klientnnen und Klienten. Die Broschüren stehen auf der Website von Frauenhauskoordinierung e.V. zum Download bereit.
Rollenbilder und Vorurteile beeinflussen unser Zusammenleben, unsere Wahrnehmung und Bewertung von Situationen und Umständen. Nicht immer gelingt es, die Wirkung dieser auf die eigenen Verhaltens- und Denkmuster angemessen zu reflektieren. Im Beratungskontext kann es dazu führen, dass die Lebensrealitäten und die Bedürfnisse der Klientinnen nicht adäquat berücksichtigt werden können.
Dem entgegenwirkend haben wir am 15.03.2021 im Rahmen des Projektes Worte helfen Frauen zur Online-Tagung „Rollenbilder in der Arbeit mit geflüchteten Frauen – Qualitätssicherung im Beratungskontext“ eingeladen. Gemeinsam mit den fachversierten Referentinnen und interessierten Teilnehmenden wurden die Rollenbilder in der Arbeit mit geflüchteten Frauen problematisiert und Wege aufgezeigt, wie diese überwunden werden können. Die Online-Tagung war mit 200 Teilnehmenden ein voller Erfolg. Sie richtete sich an Personen, die in Institutionen oder Organisationen mit geflüchteten Frauen und Migrantinnen zusammenarbeiten. Wie z. B. Frauen- und Mädchenhäuser, Gewaltberatungsstellen, Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Gleichstellungsbeauftragte, Sprachmittler*innen und viele mehr.
Almut von Woedtke, Vorstandsvorsitzende des Projektträgers Gleichberechtigung und Vernetzung e.V., leitete durch den Tag und begrüßte als erste Rednerin die Leiterin des Referats (202) Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Prostituiertenschutzgesetz des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Andrea Frenzel-Heiduk. Frau Frenzel Heiduk ist im Ministerium für das Projekt „Worte helfen Frauen“ zuständig und überbrachte an diesem Tag das Grußwort des Ministeriums.
Die Situation geflüchteter Frauen in Niedersachsen wurde im Anschluss von Irmak Kamali, Mitarbeitern des Nds. Krisentelefon gegen Zwangsheirat und der Frauenberatungsstelle SUANA bei kargah e.V., beleuchtet. Dabei griff sie auf ihre jahrelange Erfahrung in der Beratungsarbeit zurück und plädierte in diesem Rahmen, die geflüchteten Frauen nicht als homogene Gruppe, sondern reflektiert als Individuen mit individuellen Problemlagen, Ressourcen und Bedürfnissen zu betrachten und ihnen entsprechend in der Beratungsarbeit zu begegnen.
Samia Dinkelaker vom Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück hat einen Vortrag mit dem Thema „Flucht und Geschlecht: (Post)koloniale Bilder“ gehalten. Sie problematisierte die dominanten und historisch gewachsenen Vorstellungen/Bilder im Kontext von Gender und Flucht und zeigte die Wirkmächtigkeit von diesen nicht nur im Beratungskontext, in der Wissenschaft, sondern auch für unseren Alltag auf. Das Bild der geflüchteten Frau, das vor allem in „wohltätigen Praktiken der Unterstützungsarbeit“ zirkuliere, enthalte Vorstellungen des Andersseins geflüchteter Menschen und sei somit Legitimationsgrundlage für den Ausschluss von bestimmten Menschen.
Samia Dinkelaker zum Thema „Flucht und Geschlecht: (Post)koloniale Bilder“
Fehlende Sensibilität und Information in der Beratungsarbeit kann für Frauen und Mädchen fatale Auswirkungen haben. So vor allem in der Beratung zum Thema FGM (female genital mutilation). Hierzu referierte Dr. Cornelia Strunz u. a. über die Hintergründe, Verbreitung und vor allem die medizinischen Folgen von FGM und gab einen Einblick in die beeindruckende Arbeit des Desert Flower Center im Krankenhaus Waldfriede in Berlin. Der detaillierte Vortrag mit (anatomischen) Bildern aus der Beratungspraxis und Erfahrungsberichten aus dem Alltag von Betroffenen, berührte viele Teilnehmende und stoß auf sehr große Resonanz.
Im Anschluss wurden Möglichkeiten des Empowerments für geflüchtete Frauen von Rudaba Badakhshi thematisiert. Die Regionalkoordinatorin für die Region Mitteldeutschland des Dachverbandes der Migrantinnenorganisationen (DaMigra e.V.) sprach über die Bedeutung der Stärkung der gesellschaftlichen Vielfalt und Akzeptanz von geflüchteten Frauen bzw. Frauen mit Migrationshintergrund, um präventiv und aktiv gegen Vorurteile anzugehen und so ein friedliches Zusammenleben vor Ort zu fördern. Ziel sei eine rechtliche, gesellschaftliche, politische und ökonomisch gerechte Teilhabe von geflüchteten Frauen.
Möglichkeiten des Empowerments für geflüchtete Frauen von Rudaba Badakhshi.
Die Veranstaltung endete mit einer spannenden Podiumsdiskussion zum Thema „Qualitätssicherung im Beratungskontext – Perspektiven zur Überwindung von Rollenbildern in der Arbeit mit geflüchteten Frauen“. Sibylle Naß (Kargah e.V.), Nadine Nana Ngantcha (Baobab – zusammensein e.V.) nahmen neben Frau Frenzel-Heiduk, Frau Badakhshi und Frau Dinkelaker mit wertvollen Beiträgen an der Diskussion teil. Durch den interdisziplinären Hintergrund der Referentinnen wurde die Fragestellung der Tagung aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Dadurch konnten vielschichtige Ansätze für die Beratungsarbeit gewonnen werden, die zur Selbstreflexion anregten.
Ein großer Dank geht an unsere Referentinnen dieser Tagung:
Rudaba Badakhshi
Samia Dinkelaker
Andrea Frenzel-Heiduk
Irmak Kamali
Sibylle Naß
Nadine Nana Ngantcha
Dr. Cornelia Strunz
Informationen zu den Referentinnen können Sie hier downloaden.
In Zeiten, in denen jeder Mensch sich möglichst in den eigenen vier Wänden aufhalten soll, steigt auch die Zahl an Krisen und Notlagen. Die Formen der Gewalt können vielfältig und ein dauerhafter Angriff auf die Selbstbestimmung von Frauen und Männern sein. Auch in Zeiten von Corona stehen in der Region Hannover – im Umland und im Gebiet der Stadt Hannover – Anlaufstellen zur Beratung bei Gewalt, Krisen und Notlagen zur Verfügung. Darauf weisen Petra Mundt, Gleichstellungsbeauftragte der Region Hannover, und Friederike Kämpfe, Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt, hin: „Uns ist es wichtig zu betonen, dass die Hilfen für Frauen und Männer bei Gewalt, Krisen und Notlagen weiterbestehen. Diese Hilfen können übrigens nicht nur von den Betroffenen in Anspruch genommen werden, sondern auch von Außenstehenden, die sich Unterstützung und Hilfe wünschen.“
Informationen zu den Angeboten der Beratungsstellen sind unter folgendem Link zu finden: www.hannover.de/gleichstellung-region.
Dr. Carola Reimann, Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
Die Fachtagung „Mehr als Sprache- Qualitätssicherung bei Übersetzungen im Beratungskontext“, im Rahmen des Projekts „Worte helfen Frauen“ am Donnerstag, 08.11.2018 in Hannover war ein voller Erfolg. Die beeindruckenden Räumlichkeiten des Forum St. Joseph boten rund 80 Teilnehmenden die Möglichkeit, Expertinnen und Experten kennenzulernen und exzellente Fachvorträge zu hören. Außerdem lud die Veranstaltung zum individuellen Austausch ein. Die Teilnehmenden stammten aus den Bereichen Migration und Integration, Beratungseinrichtungen, Sprachmittlung oder Gleichstellung.
Durch den Einsatz eines modernen Moderations-Tools konnte bereits zu Beginn anschaulich abgefragt werden, mit welchen Erwartungen die Fachtagung besucht wurde:
Almut von Woedtke, Vorstandsvorsitzende des Projektträgers Gleichberechtigung und Vernetzung e.V., leitete durch den Tag und begrüßte als erste Rednerin die Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, Dr. Carola Reimann. Die Ministerin betonte, wie vorbildlich die Entwicklung des Projekts ist und legte den Fokus auf die unbürokratische Möglichkeit der Kostenabrechnung sowie auf den aktuellen Modellversuch des Telefondolmetschens, um spontane Dolmetscherleistungen zu ermöglichen.
Der aktuelle Stand
Im Anschluss klärten zwei Mitarbeiterinnen von kargah e.V. über die aktuelle Situation geflüchteter Frauen auf. Es wurde ein Input zu Fluchtursachen, den Problemen beim Eintreffen in Deutschland und letztlich den Schwierigkeiten beim Spracherwerb sowie Herausforderungen bei Beratungsgesprächen geboten. Gemeinsam mit Publikum und Referentinnen wurden für viele Themen Diskussionspotentiale ermittelt.
Ein Blick in die Forschung
Dr. Mike Mösko sprach anschließend über „Qualitäts(mindest)standards zur Qualifizierung von Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern“ und stellte die Forschungsergebnisse „ZwischenSprachen“ der Arbeitsgruppe Psychosoziale Migrationsforschung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vor. Nach der Präsentation der aktuellen Ausgangslage referierte Dr. Mösko über die Bedarfe, die von der Arbeitsgruppe erarbeitet wurden und stellte die Ergebnisse der umfangreichen Forschungsarbeit vor. Die aufgekommene Diskussion machte deutlich, dass eine Definition oder Absprache über die Rolle von Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern eine Grundlage für eine harmonische und für alle Beteiligten zufriedenstellende Zusammenarbeit ist. Die Folien zum Vortrag finden Sie hier.
Dolmetschen über Telefon
Aus Wien reiste Moschda Djalalyar von SAVD Videodolmetschen GmbH an und informierte die Teilnehmenden über den Service des Telefon- bzw. Videodolmetschens. Im September 2018 hat „Worte helfen Frauen“ einen Modellversuch aufgenommen. In der Zeit September 2018 bis Februar 2019 können einige Beratungsstellen im Rahmen des Projekts „Worte helfen Frauen“ den Service von SAVD erproben: Per Telefon können Dolmetscherinnen und Dolmetscher binnen 120 Sekunden auf diversen Sprachen hinzugeschaltet werden und datenschutzkonform ihre Dienstleistung anbieten. Alle Dolmetscherinnen und Dolmetscher verfügen über zertifizierte Sprach- sowie soziale Kompetenzen.
Die Rolle der Übersetzenden
Als letzte Rednerin wurde Meera Sivaloganathan begrüßt. Die Sprach- und Kulturmittlerin hat bereits bei dem letzten Fachtag „Übersetzen heißt Verantwortung“ im Jahr 2017 die „Basics“ professioneller Übersetzungsarbeit für Frauen im interkulturellen Kontext durch anschauliche Beispiele aus der praktischen Arbeit dargestellt. In diesem Jahr betonte sie, woran gute Übersetzerinnen oder Übersetzer erkannt werden können. Sie ging darauf ein, dass die dolmetschende Person dabei unbedingt Neutralität wahren muss. Die Gesprächsführung liegt grundsätzlich in der Verantwortung der Beratenden und darf sich nicht durch das Einbringen persönlicher stereotypischer Vorstellungen oder einer starken Solidarisierung mit der Klientin durch eine ähnliche ethnische Herkunft zu Gunsten der Dolmetscherinnen und Dolmetscher verschieben. Unter dem Motto „individualisieren statt kulturalisieren“ betont Meera Sivaloganathan, wie wichtig es ist, die Klientin als Individuum zu erkennen und keine Normbilder oder Vorurteile auf ihre Person zu übertragen. Kommentare der Dolmetschenden haben bei einer Übersetzungstätigkeit ebenso wenig Raum wie die eigene Geschichte oder individuelle Erfahrungen.
Diskussionspotenziale
Der Fachtag war ein bunter Strauß an Inputs und bot den Teilnehmenden die Möglichkeit sich aktiv an allen Themen zu beteiligen. Die Diskussionen haben eindeutig gezeigt, wie wichtig es ist, klar zu formulieren, was von den Dolmetscherinnen und Dolmetschern letztlich erwartet wird: Eine neutrale und professionelle Dolmetschung oder eine engagierte und sensible Ausübung, die die Arbeit der Beratenden auch um eine soziale Komponente ergänzt.
Es war eine deutliche Spannbreite zwischen den einzelnen Erwartungen der Teilnehmenden zu erkennen. Hierzu wäre es durchaus spannend in einen weiteren Austausch zu treten.
Ein großer Dank geht an unsere Referentinnen und Referenten dieser Tagung:
Irmak Kamli
Sevcan Tasdemir
Dr. Mike Mösko
Moschda Djalalyar
Meera Sivaloganathan
Andrea Frenzel-Heiduk
Die Freiwilligenakademie Niedersachsen (fan) leistet auf diese Weise einen Beitrag die ehrenamtliche Tätigkeit ein Stück weit zu professionalisieren. Für Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit können Fortbildungen abgehalten werden, die daraufhin hinwirken, sie für diese Tätigkeit und Verantwortung zu qualifizieren.
Die Bandbreite der Themen dieser Fortbildungen reichen über die Rollendefinition ehrenamtlicher Tätigkeit über Interkulturalität sowie Einblicke in rechtliche Grundlagen.
Die Seminare können an verschiedenen Standorten in Niedersachsen durchgeführt werden. Informationen hierzu finden sich unter: www.freiwilligenakademie.de.
Niedersachsens Sozialministerin Dr. Carola Reimann hat auf dem zweiten Fachtag des Projekts „Worte helfen Frauen“ den Erfolg der Übersetzungsleistungen für geflüchtete Frauen in Niedersachsen herausgestellt. „Viele der ankommenden Frauen kennen die hier geltenden Gesetze nicht so genau. Vor allem haben viele von ihnen keine Vorstellung davon, welche Rechte und Pflichten sie in unserem Land haben. Das Projekt „Worte helfen Frauen“ bietet Betroffenen schnelle, unbürokratische Hilfe.“
Unter dem Motto „Mehr als Sprache“ diskutierten rund 100 Mitarbeitende aus Beratungsstellen, sozialen Einrichtungen und Kommunen darüber, wie sie die Qualität des Übersetzens im Beratungskontext sichern und weiter verbessern können. Durch den Einsatz vieler Ehrenamtlicher stellt die Qualitätssicherung eine Herausforderung dar. Hinzu kommt, dass weltweit immer noch sehr viele Frauen und Mädchen vor Krieg, Verfolgung und Gewalt fliehen. Einige verlassen ihr Herkunftsland, weil sie geschlechtsspezifische Gewalt, wie zum Beispiel Zwangsheirat oder Genitalverstümmelung, fürchten oder erlebt haben. Seit 2015 sind viele Geflüchtete auch nach Niedersachsen gekommen. Der Anteil der zugewanderten Frauen liegt bei ungefähr einem Drittel.
Das Land Niedersachsen entlastet die Beratungseinrichtungen bei den Kosten für die Übersetzungen. Im Jahr 2018 wurden dafür 300.000 Euro bereitgestellt. Das Projekt „Worte helfen Frauen“ hat sich seit seinem Start vor drei Jahren gut in Niedersachsen etabliert und ist in jeder Beratungsstelle vertreten, die zu frauenspezifischen Fragen informiert. Die Übersetzungsleistungen stehen all denen zur Verfügung, die aufgrund von sexuellen Übergriffen, Gewalterfahrungen, kulturell bedingten Verstümmelungen oder anderen traumatischen Erlebnissen eine Beratungsstelle aufsuchen wollen beziehungsweise ein Gespräch in einer Schwangerenberatungsstelle benötigen. Betroffene, die sich seit dem 1.1.2015 in Deutschland befinden, können die zahlreichen vernetzten Angebote in Frauenhäusern, Schwangerschafts- und Gewaltberatungsstellen, Beratungs- und Interventionsstellen (BISS) sowie bei Gleichstellungsbeauftragten in Anspruch nehmen.
Ein Pilotprojekt mit einem österreichischen Anbieter (SAVD) ergänzt das bestehende Angebot um einen Pool von mehr als 500 Übersetzerinnen und Übersetzern, die speziell zu den Schwerpunkten Gesundheit, Verwaltung, Recht und Soziales geschult sind. Durch diesen Service können sie via Telefon zugeschaltet werden und bei mindestens 14 Sprachen eine Telefonübersetzung innerhalb von zwei Minuten erhalten. Übersetzungen in weitere 50 Sprachen sind innerhalb von 15 Minuten bei vorheriger Terminabsprache möglich. „Viele Beratungen müssen sehr schnell und auf niedrigschwellige Art erfolgen. Ich denke hier besonders an Gespräche zu Schwangerschaftskonflikten sowie bei Gefährdung oder nach erlittener häuslicher Gewalt. Deshalb bin ich froh, dass es zusätzlich die Möglichkeit der Übersetzung per Telefon gibt“, so Dr. Carola Reimann. Einige Beratungseinrichtungen in Niedersachsen haben das Angebot inzwischen schon nutzen können. Geplant sind darüber hinaus weitere Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen für Beratungskräfte und Übersetzerinnen.
Dr. Carola Reimann verwies zudem auf die hohe Bedeutung kultur- und geschlechtsspezifischer Faktoren, die ein besonders sensibles Vorgehen beim Beraten erforderlich machen: „Die richtige Ansprache und behutsame Wortwahl unter Berücksichtigung der kulturellen Herkunft zu finden, ist sehr wichtig. Deshalb sind sie auf die Hilfe von muttersprachlichen Übersetzerinnen und Sprachmittlerinnen angewiesen.“
Pressemitteilung des Niedersächsichen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vom 8.11.2018
Für das Projekt „Worte helfen Frauen“ startet ab dem 01.09.2018 eine Pilotphase, um das Telefondolmetschen zu erproben.
Kooperationspartnerin ist die SAVD Videodolmetschen GmbH mit Sitz in Wien. Seinen Ursprung hat der Dolmetscherservice durch ein Pilotprojekt im Bereich Patientensicherheit. Heute sind mehrere hundert qualifizierte Dolmetscherinnen und Dolmetscher im Einsatz. Die Dolmetscherinnen und Dolmetscher verfügen alle über einen translationswissenschaftlichen Abschluss oder eine gerichtliche Zertifizierung. Sie sind für Sprachen, bei denen dieses durch ein vorhandenes universitäres Angebot möglich ist, akademisch ausgebildet. Soziale, interkulturelle sowie kommunikative Kompetenzen sind obligatorisch.
Mit knapp 20 niedersächsischen Beratungsstellen wird der Service in einem dreimonatigen Testlauf erprobt. Die Stellen wurden durch Schulungen auf die Testphase vorbereitet und können den Dienst ab dem 01.09.2018 nutzen.
Wir sind gespannt, inwieweit der Service für das Projekt „Worte helfen Frauen“ erleichternd wirkt und welches Feedback wir von den Beratungsstellen erhalten.