4. Fachtag „Worte helfen Frauen“

Situation und Bedarfe von Frauen ohne Papiere und von Prostituierten | Dokumentation

Sprachliche Verständigung ist im Beratungssetting von besonderer Bedeutung. Daher ist es für Beratungsstellen in der Beratung von Migrantinnen ohne oder mit wenig deutschen Sprachkenntnissen häufig notwendig, eine Person zur Sprachmittlung heranzuziehen. Eine weitere Person in der Beratungssituation bringt neben der sprachlichen Unterstützung allerdings auch besondere Herausforderungen mit sich.

Diese Herausforderungen und Besonderheiten galt es in einer Tagung herauszuarbeiten und diskutieren. Am 27.09.2022 haben wir im Rahmen des Projektes „Worte helfen Frauen“ zur online-Tagung „Beratung mit Übersetzung – Situation und Bedarfe von Frauen ohne Papiere und von Prostituierten“ eingeladen.

Dabei stellten wir zwei Zielgruppen in den Mittelpunkt, deren Lebenssituation und Bedarfe zu kennen auch für Beratungsstellen von besonderer Bedeutung ist: Frauen ohne Papiere und Prostituierte.

Nach einem Grußwort der Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Daniela Behrens informierte Almut von Woedtke, Vorstandsvorsitzende des Projektträgers Gleichberechtigung und Vernetzung e.V. und Projektleitung „Worte helfen Frauen“ über Aktuelles zum Projekt „Worte helfen Frauen“. Wie viele Übersetzungsleistungen wurden im Rahmen des Projektes übernommen? In welche Sprachen wird am meisten übersetzt? Wo gibt es noch Bedarfe? Auf Grundlage dieser Fragen wurde der aktuelle Stand der Dinge in den Blick genommen und auf eine fast siebenjährige Erfolgsgeschichte zurückgeschaut.

Daniela Behrens, Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung

Für den fachlichen Input waren vier Expertinnen und Experten dabei:

Den Anfang machten Saskia Apelt-Schunk und Bernadeta Kuclo von der Fachberatungsstelle Phoenix e.V. aus Hannover (www.phoenix-beratung.de). Sie informierten über Rahmenbedingungen der Sexarbeit in Deutschland und ermöglichten den Teilnehmenden einen Einblick in ihre alltägliche Arbeit. Neben allgemeinen Informationen zur Beratungsstelle, dem breiten Spektrum der Tätigkeitbereiche und Angebote, gingen die Referentinnen auch auf die rechtlichen Grundlagen der Sexarbeit in Deutschland ein. Besonders deutlich wurden dabei die Herausforderungen und Besonderheiten der aufsuchenden Arbeit. Eine direkte Ansprache und vertrauensbildende Maßnahmen an den Orten, an denen Sexarbeit stattfindet, steigere den Bekanntheitsgrad der Beratungsstelle (und dessen Unterstützungsmöglichkeiten) und baue gleichzeitig Berührungsängste/ Hemmschwellen ab. Ferner sind die Referentinnen auf die schwierige Situation der Sexarbeitenden und der Beratungsstelle im Zuge der Corona-Pandemie eingegangen: Eingeschränkt erreichbares Hilfesystem, überraschendes und kurzfristiges Arbeitsverbot, existenzielle Sorgen, psychische Belastung, Zukunftsängste u.v.m. habe die Hilfesuchenden, aber auch die Beratenden sehr belastet. Mit einem Plädoyer, Sexarbeiterinnen respektvoll zu behandeln und Diskriminierungen und Stigmatisierung entgegen zu wirken, beendeten die Referentinnen ihren Vortrag.

Johannes Schwietering von Medinetz Hannover e.V. referierte im Anschluss über die Medizinische Versorgung von Frauen ohne Papiere. Medinetz Hannover e.V. (www.medinetz-hannover.de) vermittelt medizinische Behandlung für Menschen ohne Aufenthalts- und Krankenversicherungsstatus und fordert im öffentlichen und politischen Diskurs die Abschaffung ausgrenzender Gesetze, um Menschen ohne Papiere den Zugang zu Gesundheitsleistungen zu ermöglichen.
Johannes Schwietering ging ausführlich auf die aktuelle Versorgungssituation und auf Perspektiven von Frauen ohne Papiere in Niedersachsen ein. Neben einer Definition „Wer Frauen ohne Papiere sind“, berichtete er über die aktuelle Rechtslage und verdeutlichte mithilfe von Fallbeispielen die schwierige Situation dieser heterogenen Personengruppe. Was sind die Herausforderungen für Betroffene? Was ist der Nothelferparagraph? Welche Leistungen können mit welchem Aufenthaltsstatus von welchem Versorgungsamt/Krankenkasse in Anspruch genommen werden? Was ist die Übermittlungspflicht nach §87? Auf Grundlage dieser Fragen skizzierte Herr Schwietering ein düsteres Bild der Versorgungslandschaft und veranschaulichte deutlich, dass Menschen ohne Papiere im Krankheitsfall, bei Schwangerschaften oder nach Unfällen kaum die Möglichkeit haben, medizinische Hilfe gefahrlos zu erhalten. Besonders bedeutend und hilfreich waren vor diesem Hintergrund, die Praxistipps an Betroffene und Unterstützende (Was ist VOR der Behandlung und was ist BEI der Behandlung zu beachten) und die Angabe von bestehenden Versorgungsstrukturen.
Hier finden Sie die PowerPoint-Präsentation von Herrn Schwietering zum Download

Nach der Mittagspause referierte Frau Delaram Shafieioun vom Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e.V. (www.ntfn.de) über die „Beratung zu dritt“ und die „Besonderheiten, Herausforderungen und Empfehlungen“. Dabei ist sie u.a. auf die Notwendigkeit von Sprachmittlung in Beratungs- und Therapiegesprächen eingegangen und hat verdeutlicht, dass es kaum Alternativen gibt. Der Einsatz von Sprachmittlung habe einen positiven Einfluss auf die Beratung und sei äquivalent zu muttersprachlicher Beratung. Betroffene, die nicht der Beratungssprache mächtig seien, könnten ihre Gefühle am besten in der Muttersprache zum Ausdruck bringen. Im Anschluss informierte Frau Shafieioun über allgemeinen Regeln in Dolmetschersituationen, die erfolgreiche Gestaltung von Vor- und Nachgesprächen und über die Bedeutung einer klaren Rollenverteilung bei einer Beratung zu dritt: Beraterin/ Berater – Sprachmittlung – Betroffene/ Betroffener.
Mehr dazu in der PowerPoint-Präsentation von Frau Shafieioun

In einer abschließenden Podiumsdiskussion ging es um die Bedarfe des Niedersächsischen Hilfesystems (freie und kommunale Beratungsstellen) im Hinblick auf die Beratung von Frauen ohne Papiere und Prostituierten. Im digitalen Podium waren neben den Referierenden dabei: Andrea Frenzel Heiduk, Leiterin des Referats (202) Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Prostituiertenschutzgesetz des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung und Maia Ceres vom Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (www.berufsverband-sexarbeit.de).

Durch die Ausführungen von Frau Ceres konnten die Bedarfe von Sexarbeitenden auch aus der Perspektive von „Betroffenen“ ermittelt werden. Frau Ceres berichtete u.a., dass vielen Sexarbeitenden das Vertrauen zu öffentlichen Behörden fehlt und sie bei einem „Outing“ ihrer Tätigkeit Ablehnung und Diskriminierung befürchten (müssen). In diesem Zusammenhang machte sie auf das Projekt „Roter Stöckelschuh“ aufmerksam, welches Barrieren in der gesundheitlichen Versorgung und Beratung für Sexarbeitende abbauen möchte. Der Rote Stöckelschuh steht für Vertrauen, Respekt und Akzeptanz und soll die berufliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Sexarbeitenden fördern. (www.roterstoeckelschuh.de)

Offen sprechen zu können und dabei einen wertschätzenden Umgang und Beratung zu erfahren seien wichtige Voraussetzungen für eine gute Behandlung – das gilt auch und besonders für diese hoch stigmatisierte Berufsgruppe. Dabei spiele eine „gemeinsame“ Sprache eine entscheidende Rolle. Die Beteiligten waren sich einig, dass bei fehlenden Deutschkenntnissen Sprachmittlung für eine adäquate Beratung notwendig ist.

Die Online-Tagung war mit über 160 Teilnehmenden ein voller Erfolg. Sie richtete sich an (Beratungs-) Stellen, Fachbehörden (z.B. Gesundheits- und Ordnungsämter), Ärztinnen und Ärzte und Gleichstellungsbeauftragte, die Frauen in Not Beratung und Hilfe anbieten – insbesondere Frauen ohne Papiere und Prostituierte.

Gemeinsam mit den fachversierten Referierenden und interessierten Teilnehmenden wurden wichtige Aspekte für eine erfolgreiche und nützliche Beratung herausgearbeitet.

Als Moderatorin führte Dunja Rose durch den Fachtag.

Ein großer Dank geht an unsere Referentinnen und Referenten dieser Tagung:

Saskia Apelt-Schunk und Bernadeta Kuclo
Maia Ceres
Andrea Frenzel-Heiduk
Johannes Schwietering
Delaram Shafieioun

und an Frau Ministerin Daniela Behrens


Bericht: Frau Rabia Kuru, Projekt Worte helfen Frauen

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